Schönheitsschlaf

Schönheitsschlaf

 

Biggi steht hinter mir vor dem Spiegel. Ihre Finger umklammern meine Schläfen, während sie die Haut straff nach hinten zieht. „Siehst du! Gleich zehn Jahre jünger.“ Triumphierend blickt sie mich an.

Entsetzt starre ich auf meine Augen, die mir jetzt schlitzartig entgegenblicken. Biggi lässt ein wenig locker und der Effekt normalisiert sich. Was ein paar Fältchen weniger und eine kleine Straffung alles bewirken!" Biggi strahlt mich an. „Was meinst du?“

         „Ich weiß nicht“, entgegne ich wenig begeistert. Biggi löst ihre Schraubstockfinger und ich streiche mir über das Gesicht. „Es ist doch normal, mit fünfundfünfzig ein paar Fältchen zu haben. Außerdem will ich Ostern zu Hause feiern.“

      „Ach was! Das hast du jetzt dreißig Jahre lang gemacht. Zeit für was Neues und überleg mal, wie viel Spaß wir zusammen haben werden.“ Biggi zieht mich zurück zum Kaffeetisch. „Mandelblüte auf Mallorca“, schwärmt sie und nimmt einen großen Schluck Cappuccino. „Knapp zwanzig Grad, die Meeresluft und dann die Annehmlichkeiten im Hotel: Spa, Massagen, Sauna und mediterrane Küche. Klingt doch verlockend!“ Sie schaut mich aufmunternd mit hochgezogenen Augenbrauen an, die akkurat gezupft und nachgezogen sind.

Ich zögere. Meine Vorstellungen gehen eher in Richtung Familienfest mit meinen Kindern und Ostereiersuche mit den Enkeln, aber das sage ich nicht. Stattdessen zucke ich unentschlossen die Schultern. Eigentlich hätte ich auch gleich nicken und zusagen können. Biggi ist nicht der Typ Mensch, der klein beigibt und nach einer weiteren Woche hat sie mich tatsächlich weichgekocht.

 

Der Flieger landet und eine halbe Stunde später sitzen wir im Shuttle-Bus zum Hotel. Man empfängt uns mit einem giftgrünen Smoothie, wahlweise einem Glas Sekt, nach dem ich dankbar greife. Biggi würgt ohne Begeisterung das Gesundheitsgetränk hinunter. Ich lächle über so viel Selbstkasteiung und genieße mein Prickelwasser.

Wir haben ein feudales Zimmer mit Blick aufs Meer, das heute ein wenig aufgewühlt ist. Ich beschließe, als erstes einen Strandspaziergang zu machen.

          „Muss das jetzt sein?“, nörgelt Biggi. „Ich kann's gar nicht erwarten, das Spa anzuschauen.“

         „Geh ruhig vor und schau dich um, ich lasse mir ein bisschen den Kopf frei pusten und komme dann nach“, besänftige ich sie und atme auf, als sie nickend zustimmt. Biggi ist in Ordnung, aber ihre Dominanz ist gerade jetzt schwer zu ertragen. Endlich von meinem bestimmenden Ehemann geschieden, will ich tun und lassen was mir gefällt.  

Die Meeresluft ist herrlich frisch und ich sauge den salzigen Duft tief in meine Lungen. Einen Moment wünsche ich mir, ohne Biggi hier zu sein. Mir graut davor, den Stapel Beautyinformationen mit ihr durchzukauen, die sie bereits am Empfang zusammengeklaubt und mit aufs Zimmer genommen hat. Ich mache mir bewusst, was ich nicht will, während ich barfuß durch den nassen Sand laufe. Ich gehe ein Stück weit ins Wasser und lasse die Wellen gegen meine Schienbeine brechen, den Blick hinaus aufs Meer gerichtet. Schnippeln kommt nicht infrage und Botox, wenn überhaupt nur minimal", murmele ich und schaudere, die Maskengesichter der Prominenten vor Augen. Massagen, reinigende und pflegende Gesichtsmasken, sowie jede Menge Ruhe und Schlaf stehen dagegen ganz oben auf meiner Wunschliste. 

 

Meine Befürchtungen werden zur Realität, als ich das Spa betrete. Im Liegebereich neben dem kleinen Pool empfängt mich Biggi. Aufgeregt wedelt sie mit einem Stapel Unterlagen und hält mir auffordernd einen Stift entgegen. Erschrocken blicke ich auf die Formulare mit diversen Beautyangeboten, die zum größten Teil schon ausgefüllt sind. Das Blut versackt in meinen Beinen und ich taumele.

        „Du bist ja ganz bleich!" Biggi schaut mich alarmiert an. "Leg dich da auf den Liegestuhl, ich habe ihn für dich reserviert.“

Gerne nehme ich an und lege die Papiere auf das Tischchen, das zwischen unseren Liegen steht.

        „In einer halben Stunde haben wir eine Wohlfühlmassage, so zum Ankommen. Das wird Dir gut tun und unterschreiben kannst du auch noch heute Abend“, tröstet sie und schaut besorgt auf mich runter.

Ich schließe einen Moment die Augen. Erschöpft, versuche ich mich zu entspannen und sinke bald darauf in den ersten Schönheitsschlaf. Der Traum, der mich heimsucht entwickelt sich allerdings zu einem Albtraum. Ich stehe vor einem Spiegel - mein Kopf ist rundherum bandagiert. Die Augen wirken wie schwarze Löcher, die man in die weißen Verbände geschnitten hat. Mein Mund - nur ein schmaler Schlitz. Biggi steht grinsend hinter mir und beginnt mit flinken Fingern, die Bandagen zu lösen. „Frohe Ostern!“, jubelt sie. Die letzten Hüllen um meinen Kopf fallen.

 

Eine aufgedunsene Fratze mit Froschlippen starrt mir entgegen. Ich öffne meinen Mund zu einem lauten Schrei. Das Echo hallt in der kleinen Halle aus allen Ecken wider. Ich reiße die Augen auf und stürme, unter den Blicken der anderen Gäste, fluchtartig aus dem Spa.