Leseprobe "Das magische Klavier"

                                                                                                      Kapitel 1

Mit Wucht knallte Julia Lüttke die Tür ihres Kleiderschranks zu. Sie raffte die Locken zu einem Zopf, um Luft an ihren verschwitzten Nacken zu lassen. So konnte es unmöglich weitergehen. Sie musste mit dem ständigen Einkaufen aufhören. Mit verkniffenem Mund starrte sie auf die Spiegeltür, hinter der die Handtasche von Chanel lag, die sie in ihrem Lieblings-Secondhand-Laden erstanden hatte. Unter dem perfekt aufgetragenen Make-up sah Julia die wächserne Blässe in ihrem Gesicht. Zwei Augen blickten sie müde an. Sie warf sich ein schiefes Grinsen zu. Das euphorische Shopping-Gefühl verflog wie immer, sobald sie mit den Einkaufstaschen den Laden verlassen hatte. Ihr Vater, ein Bänker, wäre entsetzt, wüsste er, was sie da trieb. Adoptivvater, korrigierte sie sich. Folglich konnte sie gar keine Bänkergene haben. Sie warf einen verstohlenen Blick auf den Amazon-Karton mit den High Heels, der neben ihrer Chaiselongue im Ankleidezimmer stand. Das Logo grinste sie höhnisch an. Eine weitere unnötige Errungenschaft, musste sie zugeben. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass sie farblich perfekt zur Handtasche passten.

Frustriert schlurfte Julia ins Wohnzimmer. Dort fuhr sie den Laptop hoch und öffnete die Onlineseite ihrer Bank. Es war noch schlimmer, als sie gedacht hatte. Schnell klappte sie ihn wieder zu und legte eine Wange auf den kühlen Deckel. Traurig fiel ihr Blick auf den Flügel, der in der Zimmerecke stand. Sie nahm daran Platz, um ein letztes Mal zu spielen, bevor die Transportfirma ihn mitnahm. So würde sie wenigstens einen Teil ihrer Schulden bezahlen können. An der ganzen Misere war nur Andreas schuld, dachte sie ärgerlich und ein bisschen mit Wehmut. Tränen verschleierten ihren Blick. Die Wohnung erschien so leer, seit ihr Lebensgefährte sie verlassen hatte. Zu ihrem Glück war das Appartement möbliert. Er hatte nur seine persönlichsten Sachen mitgenommen. 

Julia gab ihrem Frust in Mozarts Sonate Nr. 16 in C-Dur Ausdruck, bevor sie die eher ruhig anmutende Sonate Nr. 11 in A-Dur anstimmte. Die klassischen Melodien lösten die Enge in ihrer Brust. Julias Finger flogen über die Tasten und sie versank vollkommen in ihrem Spiel. Die Klänge trugen all ihre Ängste davon, als die Türglocke sie aus ihren Träumen riss.

 

Sie begleitete die Männer, die den Flügel nach unten schafften, bis vor die Haustür. Schnell unterschrieb sie den Transportschein und schlüpfte zurück in den Hauseingang, denn sie konnte nicht mit ansehen, wie ihr geliebtes Instrument im Schlund des Lastwagens verschwand. Schon mal unten, sah sie nach der Post. Seit alles online verschickt wurde, führten die Blechkästen ein einsames Dasein. Sie staunte, als ihr gleich zwei Briefumschläge entgegenpurzelten. Im Aufzug las sie die Absender. Wie befürchtet hatte die Hausverwaltung eine weitere Mahnung geschickt. Der braune Din-A5 Umschlag war von einem Notariat, frankiert mit französischen Briefmarken. Sie hatte keine Ahnung, was ein Notariat in Frankreich von ihr wollte.

Die Stille und die leere Ecke, wo der Flügel gestanden hatte, waren kaum zu ertragen. Achtlos warf sie die Post auf den Tisch. Heute fühlte sie sich neuerlichen Hiobsbotschaften nicht gewachsen. Entschlossen, diesen zu entgehen, legte sie ihre Lieblings-CD auf, wendete sich dem Weinschrank zu und wählte eine perfekt temperierte Flasche Bordeaux. Auch ein Überbleibsel aus der Zeit mit Andreas. An seiner Seite war sie die makellose Frau, ein Aushängeschild par excellence. Im Gegenzug durfte sie fast uneingeschränkt über seine Kreditkarte verfügen. Keine sonderlich tiefgründige Beziehung, aber als er sie vor vier Wochen für seinen Traumjob in den Staaten fallen ließ, war sie doch geschockt gewesen. Sie trank einen großen Schluck und spülte den bitteren Geschmack weg, den die Gedanken auf ihrer Zunge hinterlassen hatten. Mit dem nächsten würgte sie ihre Tabletten hinunter.

»Scheiß’ auf die Gesundheit.« Julia griff zum Smartphone und bestellte ihre Lieblingspizza. »Wenn schon, denn schon.« 

Genüsslich fläzte sie sich in die Kissen der Wohnlandschaft. Während Julia auf den Pizzaboten wartete, löschte sie sämtliche Erinnerungen an Andreas auf dem Handy.                                                 

 

Am Morgen erwachte sie mit Kopfschmerzen, die sie mit einer Tablette, Wasser und einem starken Kaffee bekämpfte. Seufzend öffnete sie beim Frühstück die Briefe, die sie nicht länger ignorieren konnte. Das Lesen der Mahnung führte erneut zu einem ziehenden Schmerz in ihrer linken Schläfe. Genervt legte sie das Papier zur Seite. Der Umschlag aus Frankreich dagegen machte sie neugierig. Notariat Benoît Schmitt, Rendez-vous am … Julias Blick huschte zum Wandkalender in ihrer Küche. Sie kniff angestrengt die Augen zusammen, nur um sie sogleich weit aufzureißen. Heute. Der Termin war heute. Schnell las sie weiter und atmete erleichtert auf. Ihr Unterricht ging bis dreizehn Uhr. Genügend Zeit, sich frisch zu machen, bevor sie den Termin im Elsass wahrnahm. 

Auf dem Weg in die Schule hämmerte es hinter ihrer Stirn unvermindert weiter. 

Vor dem Lehrerzimmer lehnte Georg an der Wand, das Handy lässig am Ohr, die andere Hand in der Hosentasche vergraben. Als er Julia sah, grinste er süffisant und beendete das Gespräch. »Einen wunderschönen guten Morgen.« Schwungvoll stieß er sich ab und verstellte damit den Zugang zur Tür. Er legte den Kopf schief. Mit hochgezogenen Augenbrauen inspizierte er ihr Gesicht. »Es scheint, der Abend war schöner als der Morgen. Kopfschmerzen?«

Julia wischte die feuchten Hände an der Jeans ab und schnappte nach Luft. Bevor sie eine passende Antwort parat hatte, glitt Georg wie ein öliger Fisch zur Seite und hielt die Tür auf. Mit einer einladenden Geste ließ er ihr den Vortritt. Sie nickte den anderen Kollegen nur kurz zu und packte das Unterrichtsmaterial für die erste Stunde zusammen. Julia versuchte, ruhig durchzuatmen. Sie unterdrückte den Zwang, sich nach Georg umzuschauen. Bildete sie sich das nur ein oder spürte sie seinen Blick in ihrem Nacken? Seine penetrante Art hatte etwas Besitzergreifendes. Konnte er sie nicht in Ruhe lassen?

Simone, die Englisch in der achten Klasse unterrichtete, kam aus dem Kopierraum und trat zu Julia an den Tisch, um den Papierstapel in die Tasche zu stopfen. »Wollen wir?«, fragte sie. 

Julia nickte. Gemeinsam begaben sie sich zu den Klassenzimmern im ersten Stock.

Die Kinder lenkten Julia ab, aber als es zur Pause klingelte, verkroch sie sich im Klassenzimmer, denn ihre tägliche Ration Georg hatte sie schon bekommen. Gut, dass sie heute keine Aufsicht hatte. Sie öffnete ein Fenster und sah in Georgs Gesicht, der grinste und zu ihr hinaufstarrte. Schnell wandte sie sich ab. Ihr Magen verknotete sich schmerzhaft. Georgs smarte Erscheinung hatte unter den weiblichen Kolleginnen von Anfang an für Furore gesorgt. Julia kannte einige, die darauf brannten, mit ihm auszugehen. Bei ihr löste er nur Übelkeit aus. Sie verstand nicht, warum er ausgerechnet hinter ihr her war. Hoffentlich traf sie diesen Idioten nach Schulschluss nicht noch einmal. 

Als es final klingelte, begab sich Julia in den Kopierraum, der einer Besenkammer glich und sich im hinteren Teil an das Lehrerzimmer anschloss. Eng, erdrückend warm und ohne Fenster, käme niemand auf die Idee, die Tür zu schließen. Sie starrte auf die DIN-A4 Seiten, die der Apparat laut ratternd ausspuckte. Durch die geöffnete Tür hörte sie vage das Stimmengewirr der Kollegen. Der Kopiervorgang stoppte abrupt und die Anzeige ‚kein Papier‘ leuchtete auf. Georgs Stimme brach durch die Stille und Julia erstarrte. Sie hatte gehofft, er sei schon gegangen. Mucksmäuschenstill stand sie mit dem Rücken zur Wand und lauschte. Der Atem kam ihr unnatürlich laut vor. Sie hörte, wie sich jemand näherte und dann einen dumpfen Aufprall, als wuchtete wer einen Stapel Bücher auf einen Tisch. Hoffentlich wollte Georg nicht auch kopieren! Die Schritte entfernten sich.

»Also, bis Montag. Schönes Wochenende allerseits.«

Julia atmete aus. Ihr Verhalten war lächerlich. Schnell legte sie frisches Papier in die Kassette und setzte den Kopierer wieder in Gang. Sie würde Georg einen ausreichenden Vorsprung geben. Nur nicht zu lange, mahnte sie sich. Am frühen Nachmittag war der Termin in Neuf-Brisach. Zum Glück musste sie nicht weiß Gott wohin fahren. Der Ort lag direkt hinter der französischen Grenze, die man in Alt-Breisach überqueren konnte. 

Sie räumte den Stapel Kopien in ihr Fach und packte die Tasche, während sie sich immer wieder fragte, was sie im Notariat erwarten würde. Dann löschte sie das Licht und schloss ab. Eilig sprang sie die Schultreppe hinunter, bog um die Ecke und landete in Georgs Armen.

»Da pressiert aber jemand.« 

Geschickt manövrierte er sie gegen die Wand. Eingekeilt zwischen seinen abgestützten Armen presste sie ihre Tasche an die Brust. Sie schluckte. Verdammt, was wollte der Kerl von ihr? 

»Wie wäre es mit einem Mittagessen beim Italiener hier um die Ecke? So zum Start ins Wochenende?«

Julia starrte in seine grauen Augen. Sein herbes Aftershave stieg ihr in die Nase und weckte Erinnerungen. Trug er den gleichen Duft wie Andreas? 

»Was ist?« Er musterte sie erwartungsvoll.

In dem Moment kam Isabelle um die Ecke. Sie stierte zu ihr herüber. »Oh, lasst euch nicht stören. Schönes Wochenende.«

Sie warf ihnen einen süffisanten Blick zu, aber Julia war der grimmige Zug um ihre Lippen nicht entgangen. War sie etwa neidisch? Sie konnte ihn gern haben. Georg sah ebenfalls zu Isabelle. Schnell duckte Julia sich unter seiner Barriere hindurch. »Nein, danke«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich habe einen Termin und außerdem …« Warum in aller Welt rechtfertigte sie sich vor diesem Typen? »Sorry, aber heute passt es gar nicht.«

»Dann vielleicht am Abend? Neunzehn Uhr? Ich hole dich ab.«

»Georg …« Sie rang nach Fassung. »Ich habe weder Zeit noch Interesse.«

Seine Augen wurden dunkel. Er verzog den Mund. Scheinbar war er Widerspruch nicht gewohnt. Julia sah, dass er sich um Beherrschung bemühte. Unwohlsein zog ihre Lendenwirbel hinauf. War sie zu deutlich geworden? Hatte sie an seiner Ehre gekratzt? Verdammt, er scherte sich einen Dreck um die Ihre. Wie auch immer. Sie hatte den Termin. Davor musste sie sich noch frisch machen. Sie wandte sich ab, spürte, wie sich Georgs Blick in ihren Rücken bohrte – und schauderte.

 

Julia parkte im Zentrum von Neuf-Brisach auf dem Marktplatz, der früher als Exerzierplatz diente. Anfang des achtzehnten Jahrhunderts hatte Vauban, der Festungsbaumeister Ludwigs XIV., die Stadt in Form eines Achtecks erbaut. Ein schachbrettförmig angelegtes Straßennetz säumte den Markt. Julia war für ihr Navigationssystem dankbar, denn in der imposanten Anlage aus Mauern, Gräben und Toren hätte sie sich mit Sicherheit verfahren. Sie blieb einen Augenblick unter der Plakette stehen, die über dem Eingang des Notariats befestigt war. Die Sonne spiegelte sich in dem goldenen Oval mit den Insignien der politischen Macht. 

In der kleinen Empfangshalle fühlte sie sich in eine andere Zeit versetzt. Die antiken Möbel mit geschnitzten Verzierungen in dunklem Holz wirkten respekteinflößend und der etwas muffige Geruch nach Bohnerwachs verstärkte dieses Gefühl. Als die Dame hinter dem Empfang sie ansprach, zuckte Julia leicht zusammen. Sie machte ihre Angaben mit gedämpfter Stimme und ließ sich in den Warteraum führen.

Kurz darauf erschien ein gedrungener Mann im Anzug und reichte ihr die Hand. »Madame Lüttke? Ich bin Benoît Schmitt. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?«

Vor seinem Büro ließ er Julia den Vortritt und bat sie, auf einem thronähnlichen Stuhl vor einem eindrucksvollen Schreibtisch Platz zu nehmen. Auf dem Tisch stapelten sich haufenweise Blöcke und lose Blätter, in denen der Notar zu suchen begann. Ein Stapel rutschte in sich zusammen und es war nur der schnellen Reaktion von Monsieur Schmitt geschuldet, dass er nicht zu Boden glitt. Julia musste an den Lieblingsspruch ihrer Schwester denken: »Nur das Genie beherrscht das Chaos.«

Erneut wühlte er sich durch die Papierflut, bis er mit einem zufriedenen Grinsen fündig wurde und ihr das Testament einer Amalia Kraft vorlas.

»Ich habe geerbt?« Fassungslos starrte sie den Notar an. Ihre Mundwinkel zuckten verdächtig, als könnten sie sich nicht entscheiden, ob sie sich zu einem Lächeln oder einer weinerlichen Schnute verziehen sollten. »Aber ich kenne keine Frau Kraft. Sind Sie sicher, dass es sich nicht um ein Missverständnis handelt?« Warum sollte eine Fremde ihr ein altes Schleusenhaus im benachbarten Elsass vererben?

»Ich versichere, dass alles rechtmäßig ist. Leider kann ich keine weiteren Auskünfte erteilen, da meine Klientin über Stillschweigen verfügt hat. Ich soll Ihnen lediglich dies hier aushändigen.«

Er überreichte Julia einen ausgebeulten Umschlag. Mit zittrigen Fingern förderte sie ein Schreiben mit der Adresse sowie einen abgenutzten Schlüssel mit einem Anhänger in Form eines Violinschlüssels heraus. Dieser zauberte ein Lächeln auf Julias Gesicht. Die Formalitäten waren schnell erledigt. 

Auf der Straße atmete sie kurz durch und zückte ihr Handy. »Marit? Hey, ich bin’s, Julia. Du, ich habe grandiose Neuigkeiten. Können wir uns treffen? Café Extrablatt sechzehn Uhr? Prima, ich freue mich.«

Das war genau, was sie brauchte. Einen Cocktail und ein Treffen mit ihrer besten Freundin, die stets ihr Fels in der Brandung war.

 

Julia betrat vor Marit das Café in Freiburg. Sie ergatterte einen Tisch auf der Terrasse mit Blick auf die Dreisam, die dieses Frühjahr ordentlich Wasser führte. Für April war es ungewöhnlich warm und die Außenplätze fast alle belegt.

»Hey!« Marit warf ihre Jeansjacke über die Rückenlehne des Stuhls und umarmte Julia flüchtig. »Spann mich ja nicht auf die Folter. Ich platze vor Neugier.« 

Die Bedienung brachte Julias Virgin Mango Mojito, den sie bereits bestellt hatte, und sah Marit abwartend an.

»Für mich das Gleiche, bitte«, orderte sie mit einem kurzen Blick auf Julias exotisches Getränk. Als sie wieder allein waren, bohrte sie nach. »Also, was gibt’s so irres Neues?«

»Ich habe geerbt. Genauer gesagt – ein Haus im Elsass.« 

Julia sog an ihrem Trinkhalm. Fasziniert genoss sie das Minenspiel ihrer Freundin. Marit öffnete den Mund und zog hörbar die Luft ein. Die Augenbrauen schossen nach oben. Die Servicekraft stellte das Getränk vor ihr ab. Marit murmelte ein Dankeschön. Dann wandte sie sich sofort wieder Julia zu. »Ein Haus? Im Elsass? In Frankreich? Von wem denn? Oh Gott: mein Beileid! Standet ihr euch nahe? Ich meine, um wen handelt es sich eigentlich?«

»Niemand aus der Familie oder unserem Bekanntenkreis. Ehrlich gesagt: Ich kenne diese Frau gar nicht. Keine Ahnung, wer sie war und warum ich in die Gunst des Erbes komme. Der Notar war nicht befugt, eine nähere Auskunft zu geben. Letzter Wille und so …« Julia schob Marit den Umschlag über den Tisch, die ihn sofort öffnete.

»Die Adresse und ein Schlüssel? Das ist alles?«

»Ja. Und der Name natürlich: Amalia Kraft. Im Internet habe ich nichts über sie gefunden. Ist das nicht total aufregend?«

»Was hast du vor?«

»Na, schnellstmöglich verkaufen. Wenn es nicht die letzte Bruchbude ist, habe ich ein prima Startkapital für die Zeit nach Andreas. Ich muss aus der Wohnung raus.« 

»Schade, dass du es nicht als Ferienhaus behalten kannst. Wahrscheinlich bist du froh, wenn du nur eine Wohnung zahlen musst?« 

Julias Hals schnürte sich zusammen, sie zwang sich, kräftig zu schlucken. »Ich bin zwei Monatsmieten im Rückstand. Gestern lag wieder eine Mahnung im Briefkasten. Das Appartement ist viel zu groß und teuer, aber finde hier mal was Kleines, Günstiges. Alles nur wegen Andreas …«

»Trauer bloß dem nicht mehr nach. Das ist der Kerl nicht wert. Du weißt ja, was ich von ihm halte?«

Julia kräuselte die Nase und äffte den Gesichtsausdruck ihrer Freundin nach. »Gar nichts?«

»Treffer!«

»Aber ein angenehmes Leben hatte ich mit ihm schon. Zumindest in finanzieller Hinsicht …«

» …und er hat dich für seine Zwecke als Aushängeschild benutzt. Julia, wach auf! Das war doch keine normale Beziehung und entspricht überhaupt nicht deiner Zukunftsvorstellung. Du bist jetzt achtundzwanzig. Wünschst du dir nicht eine kleine Familie, einen Partner, der dich wirklich liebt?«

»Schon«, lenkte Julia ein, »aber der Mann muss erst noch gebacken werden.«

»Prima, ich sehe mal, was ich in der Backstube für dich tun kann.« Marit prostete Julia mit einem Grinsen zu. »Wann geht's los?«

»Mit der Männersuche?«

»Mit der Entdeckungsreise ins Elsass!«

»Sobald ich gepackt und die wenigen Dinge, die Andreas mir überlassen hat, bei meinen Eltern untergestellt habe. Ich möchte die Osterferien nutzen, um mit dem Erbe alles Notwendige in die Wege zu leiten. Zwei Wochen müssten reichen, was denkst du? So lange verfüge ich sogar über ein Feriendomizil.« Sie dachte einen Moment über diese zusätzliche Option nach, bevor sie Marit wieder anstrahlte: »Wie siehts aus? Ich könnte beim Packen zwei fleißige Hände gebrauchen. Hast du schon was vor?«

»Na, was für ein Glück, dass ich morgen frei habe. Sonntag bin ich nämlich eingeteilt. Ostergeschäft, du verstehst? Was gäbe es Schöneres, als mit meiner liebsten Freundin Kisten zu packen?«

»Oh weh. Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen. Ich verzeihe dir, wenn du deinen freien Tag anders verbringen möchtest.«

»Ach was! Den Vormittag opfere ich gern, um dir den Schubs in eine neue Zukunft zu geben.«

                                                                                                             ***