Inspector Stummel und die Trickbetrüger

 

Inspector Stummel hielt nichts von Onlinebanking. Seine Generation bezahlte bar und konnte nur ausgeben, was sich im Geldbeutel befand. Er hoffte, die komplette Umstellung auf bargeldlosen Zahlungsverkehr, nicht mehr erleben zu müssen.

Jetzt stand er auf der örtlichen Sparkasse in der Schlange vor dem einzigen Geldautomaten. Auszahlungen am Schalter gehörten der Vergangenheit an und die älteren Leute taten sich mit der Bedienung des Touchscreen Displays schwer.

 

Jetzt trat vor ihm Frau Leinenstoll an den Automaten und kramte umständlich ihre Brille aus der Henkeltasche, die an ihrem rechten Arm baumelte. In der Scheibe spiegelte sich ihr Gesicht und er sah ihre Augen, die sie konzentriert zusammenkniff. Sie beugte sich näher an den Bildschirm heran, fummelte ihre Kreditkarte aus dem Portemonnaie und steckte sie in den Schlitz. Es knirschte und der Apparat spuckte sie wieder aus.

            „Falsch herum“, murmelte sie, drehte die Karte und versuchte es erneut. Die Anzeige änderte sich prompt und sie studierte akribisch die Auswahlfelder, bevor sie eines mit dem Zeigefinger anpeilte und gezielt antippte.                                                   

Inspector Stummel wäre gerne behilflich gewesen, aber die Diskretion verbot ihm einzuschreiten. Er wandte sich ein wenig zur Seite, ohne sie aus dem Blick zu lassen. Es dauerte geraume Zeit, bis der Geldautomat eine Aktion zeigte, da die Dame sich zweimal bei der Eingabe der Geheimzahl vertippte. Doch dann hörte er ein andauerndes Rattern, das auf eine größere Menge an Bargeld schließen ließ. Alarmiert wanderte sein Zigarillostummel in den anderen Mundwinkel. Frau Leinenstoll zog einen DIN-A 5 Kuvert aus der Handtasche und schob das Bündel an Geldscheinen hinein. Er hielt es für gefährlich, so viel Bargeld mit sich herumzuschleppen. In diesem Fall zog er persönlich, Überweisungen vor. Endlich an der Reihe wandte er sich seinen eigenen Geschäften zu.

 

Auf dem Nachhauseweg wählte er einen Umweg durch den kleinen Stadtpark, um Waldi, der wie immer brav vor der Bank gewartet hatte, eine Freude zu machen. Auf dem Weg dorthin durchstreiften sie ein Wohngebiet, das hauptsächlich von Rentnern bewohnt wurde. Er blieb stehen und beobachtet zwei Beamte in Uniform, die an verschiedenen Haustüren klingelten und ernsthafte Gespräche mit den älteren Hausbewohnern, vornehmlich Damen, führten.

            „Ob es um ein Verbrechen geht und sie nach Zeugen suchen?“, fragte er Waldi.

Seine kriminalistische Neugier war geweckt und am liebsten wäre er hinübergelaufen, um sich beiläufig zu erkundigen. Waldi dem langweilig wurde, zog vehement in die andere Richtung und so gab er nach. Er war sich sicher, auch so früh genug in Erfahrung zu bringen, was im Städtchen vor sich ging. 

Am nächsten Tag erledigte er seinen gewohnten morgendlichen Einkauf im Dorfladen und war mit dem Dackel auf dem Weg zum Bach, als er die beiden Polizisten erneut bei ihren Aktionen beobachtete. Sie waren gut vorangekommen, dass sie bereits am anderen Ende der Stadt angelangt waren. Im Laden hatte man ihm leider keine Auskunft über ein sich kürzlich ereignetes Verbrechen oder einen Unfall geben können.

 

Seit der Sache mit dem gefundenen Lottoschein war Inspektor Stummel des Öfteren bei Frau Gerber eingeladen, wenn diese Zeit und wieder einen ihrer köstlichen Kuchen gebacken hatte. So auch zwei Tage später und erfreut über die Abwechslung, machte er sich am Nachmittag auf die Socken. Sein Weg führte am Grundstück von Frau Leinenstoll vorbei. Sie stand am Gartentor und schaute sich geheimnisvoll mehrmals nach rechts und links um, als fürchtete sie, beobachtet zu werden. Dann deponierte sie einen braunen Umschlag in ihrem Briefkasten.

Normalerweise entnahm man die Post und legte sie nicht zurück, sinnierte er und dann erinnerte er sich, an den enormen Geldbetrag, den die Dame kürzlich abgehoben hatte. Konnte sie in krumme Geschäfte verwickelt sein? Er schüttelte vehement den Kopf. Frau Leinenstoll doch nicht. Die Frau war über achtzig und sicherlich keine Kriminelle. Da ging wieder seine Fantasie mit ihm durch. Dennoch zückte er seinen Spiralblock und notierte die Szene sowie Datum und Uhrzeit.

„Gut notiert ist halb gewonnen.“ Er konnte eben nicht aus seiner Haut.

 

Der Kuchen bei Frau Gerber war wieder köstlich und Inspector Stummel genoss den Nachmittag in Gesellschaft, nicht zuletzt wegen der Gespräche, die ihn mit dem neuesten Tratsch und Klatsch versorgten. Beiläufig erkundigte er sich nach den beiden Beamten, die seit einigen Tagen durch die Wohngebiete zogen, aber Frau Gerber konnte dazu nichts sagen, außer, dass sie auch bei Frau Leinenstoll geklingelt hätten.

            „Und hat sie Ihnen gesagt, was sie von ihr wollten?“

            „Nein. Das war komisch. Normalerweise ist sie immer mitteilungsbedürftig, aber in dieser Sache war nichts aus ihr herauszukriegen. Es handele sich um verdeckte Ermittlungen, meinte sie geheimnisvoll und hob sogar den Zeigefinger vor die Lippen. Ich hab’s dann aufgegeben. Manchmal ist es besser, wenn man nicht so viel weiß.“

Inspector Stummel kratzte sich am Kinn und ließ das Gehörte wirken.

            „Verdeckte Ermittlungen also. Eigenartig ist es trotzdem“, meinte er dann und fragte nach einem weiteren Stück Kuchen, was die Gastgeberin sichtlich freute. 

Auf dem Nachhauseweg überlegte er kurz, bei Frau Leinenstoll einen Stopp einzulegen und sie direkt auf die Sache anzusprechen, entschied sich dann aber anders. Waldi war den ganzen Nachmittag alleine zu Hause geblieben und wartete sicherlich sehnsüchtig auf seinen Spaziergang.

 

Heute wählte er bewusst den Weg durch die Wohngebiete, was seinen Dackel nicht störte. Hier gab es alle paar Meter Bäume auf dem Gehsteig und es kamen jede Menge Hunde vorbei, deren Herrchen es aus Bequemlichkeit vorzogen, nur um den Block zu spazieren. Inspektor Stummel dagegen hoffte, wieder auf die ominösen Beamten zu treffen. Außerdem ging ihm das Päckchen in Frau Leinenstolls Briefkasten nicht aus dem Kopf.

            „Ob es sich immer noch darin befand? Er könnte einen Blick durch den Briefschlitz werfen“, überlegte er und ganz automatisch schlugen seine Beine den Weg zu ihrem Haus ein.  

Vor dem Briefkasten zögerte er. Es handelte sich um ein altes Modell, das man nicht abschließen konnte, was auch nicht nötig war, denn wer interessierte sich schon für Briefe, die meist nur Rechnungen enthielten. Trotzdem kam er sich selbst wie ein Verbrecher vor. Es gab das Postgeheimnis und im Grunde ging ihn die Sache gar nichts an.

Er schaute nach rechts und links, dann zog er die Klappe hoch und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ein Auge an den Briefschlitz zu halten. Ins Innere drang kein Licht und so sehr er sich auch anstrengte, er konnte nichts erkennen. Ein stechender Schmerz im Nacken ließ ihn zusammenzucken und als er kurz aufschaute, sah er eine entsetzte Frau Leinenstoll am Fenster stehen. Dann sah er nichts mehr, denn er verlor das Bewusstsein und stürzte zu Boden.

 

Die Hundeleine musste ihm gerade aus der Hand geglitten sein, denn als er die Augen wieder öffnete, sah er seinen Dackel davonjagen, einem Polizeibeamten dicht auf den Fersen.

Bereits an der nächsten Straßenecke hatte Waldi sein Opfer erreicht und biss sich an dessen Uniformhose fest, wobei er laut knurrte. Der Polizist trat mit dem Bein nach dem Widersacher und Inspector Stummel rappelte sich auf und stürzte den beiden hinterher, denn nun sah er seinen treuen Freund in Gefahr. 

Der Beamte war so mit dem Hund beschäftigt, dass Stummel nah an die beiden herantreten konnte, bevor er Aufmerksamkeit erregte. Blitzschnell zog er sein Pfefferspray aus der Jackentasche und schoss einen gezielten Strahl in die Augen des Mannes, der sich augenblicklich die Hände vors Gesicht schlug und sich stöhnend zusammenkrümmte. 

Waldi war froh, sein Herrchen wieder in Aktion zu erleben und ließ vom Hosenbein ab. Obwohl der Polizist für den Moment außer Gefecht gesetzt war, nahm Stummel den Hund an sich und ging ein paar Schritte zurück. Er zückte sein Handy, als ein Wagen mit Blaulicht und Martinshorn um die Ecke kam.

 

Sie hielten direkt neben ihrem vermeintlichen Kollegen. Der Mann wurde hochgezogen, in Handschellen gelegt und abgesucht. Sie fanden ein braunes Päckchen, das Stummel sofort erkannte. Jetzt erst kümmerte man sich um ihn.

            „Alles in Ordnung? Die Dame, die uns angerufen hat, meinte, sie wurden niedergeschlagen?“

            „Ja das stimmt. Aber nein, mir ist nichts passiert. Gibt vielleicht eine Beule. Ich verstehe nur nicht ...“ Er schaute zu dem Mann, dem die Tränen über das Gesicht liefen.

„Können Sie sich ausweisen?“

Er zeigte seinen Personalausweis und der Beamte machte mit dem Smartphone ein Foto.

            „Kommen Sie bitte, sobald wie möglich aufs Revier, damit wir ihre Aussage aufnehmen können. Jetzt gehen Sie erst mal nach Hause oder besser, suchen Sie einen Arzt auf. Ein Attest macht sich in der Untersuchungsakte immer gut, auch wegen etwaiger Spätfolgen.“

Der Polizist nickte ihm zu. Der Verhaftete wurde ins Auto verfrachtet und Inspector Stummel machte sich auf den Rückweg. Auf dem Bürgersteig kam ihm schon aufgeregt Frau Leinenstoll entgegen.

            „Um Gottes willen! Ist Ihnen was passiert? Es tut mir so leid, aber ich dachte, das sei alles Teil der Aktion, bis ich sah, dass Sie das waren“, entschuldigte sie sich. „Kommen Sie doch herein, auf einen Kaffee oder besser einen Schnaps? Den könnte ich jetzt auch vertragen.“

Ehe er sich recht versah, saß er auf dem Sofa der alten Dame, vor sich einen Espresso und einen Cognac. Frau Leinenstoll kippte ihren in einem Zug hinunter und seufzte. „Was für eine Aufregung!“

            „Ich verstehe immer noch nicht den Zusammenhang. Ohne indiskret zu sein, habe ich mitbekommen, dass Sie kürzlich einen großen Bargeldbetrag auf der Bank abgehoben haben. Ich stand hinter ihnen und dachte, wie gefährlich, denn es hätte jeder beobachten können, wenn Sie wissen, was ich meine? Dass ich dann an ihrem Haus vorbeigekommen bin, als sie selbigen Umschlag in ihrem Postkasten deponiert haben, war reiner Zufall. Das hat mich stutzig gemacht und nicht mehr losgelassen. Bitte nicht falsch verstehen, aber wer legt Geld in den eigenen Briefkasten? Ich nahm jedenfalls an, dass es sich um dieses handelte. Sicher war ich mir nicht, na ja und da wollte ich eben nachschauen.“

            „Und hier komme ich ins Spiel“, fiel ihm Frau Leinenstoll ins Wort. „Sie haben recht, in dem Umschlag befand sich Bargeld, fünfzehntausend Euros, um genau zu sein.“

Inspector Stummel pfiff leise durch die Zähne, was Waldi veranlasste, skeptisch den Kopf zu heben.

            „Ich nehme an, dass die Beamten, die seit ein paar Tagen durch das Städtchen streifen, keine echten Polizisten waren?“

Die alte Dame nickte.

            „Sie haben an der Tür geklingelt und sich falsch ausgewiesen. Das ist nicht allzu schwierig, denn ich habe in meinem Leben noch keinen Polizeiausweis gesehen. Es ginge um eine verdeckte Ermittlung, über die ich nicht sprechen dürfe und darum, einen Geld-Dieb dingfest zu machen. Ich oder besser mein Briefkasten diene als Lockvogel und das Geld sei nicht in Gefahr, denn sobald er den Umschlag an sich nähme, würde der Zugriff erfolgen.“

            „Und als ich mich dann ihrem Briefkasten genähert habe und der falsche Polizist zugeschlagen hat, dachten Sie, die Sache laufe wie geplant?“

            „Ja, bis zu dem Augenblick, als ich sie erkannte, er Sie da liegen ließ und mit dem Umschlag davonrannte. Da habe ich die Polizei angerufen und nachgefragt, was das für eine seltsame Aktion sei.“

            „Und die wussten von nichts!“ Inspector Stummel nickte zufrieden.

            „Im Grund genommen bin ich Ihnen und Ihrer Neugier dankbar", sagte Frau Leinenstoll. Ohne Sie wäre mein Geld weg und die Betrüger auch. Ich hoffe nur, dass sie den anderen auch noch finden.“

               „Bestimmt. Mitgegangen, mitgefangen", sagte Inspector Stummel und hob sein Glas.

 

Am nächsten Tag gab er seine Aussage zu Protokoll. Es stellte sich heraus, dass die beiden Trickbetrüger auch in anderen Städten mit der Masche erfolgreich waren. Der Komplize konnte am gestrigen Abend dingfest gemacht werden, nachdem der Festgenommene ein Geständnis abgelegt hatte.